Hüftgelenksdysplasie (HD)

 

Was ist HD? Welche Anzeichen deuten auf HD?

Unter Hüftgelenksdysplasie (HD) verstehen wir eine Fehlbildung der Hüftgelenke. Die beiden gelenksbildenden Knochen, die Gelenkspfanne und der Oberschenkelkopf passen nicht korrekt aufeinander. Die Fehlbildung tritt in der Regel beidseitig auf und kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. HD entwickelt sich in den ersten 15 Monaten des Lebens eines Hundes, später verändert sich nur noch das Ausmaß der Arthrose. Junge Hunde mit ausgeprägter HD zeigen v.a. Schmerzen als Folge der unüblich starken Lockerheit der Hüftgelenke. Bei älteren Hunden überwiegen die Schmerzen als Folge der Abnützung (Arthrose) der Hüftgelenke. Bei leichteren Formen der HD können Krankheitshinweise fehlen, solange der Hund nicht stark beansprucht wird. Auch zwischen den einzelnen Hunden bestehen Unterschiede in der Schmerzempfindung: Während der eine Hund mit leichter HD bereits hinkt, hat der andere Hund mit fortgeschrittener Arthrose eine spezielle Bewegungstechnik entwickelt, um Schmerzen zu vermeiden, so dass der Besitzer von der Behinderung möglicherweise gar nichts bemerkt.

Was ist die Ursache für HD?

Die Entwicklung der Hüftgelenke wird massgeblich durch zwei Komponenten beeinflusst: 1. durch die Erbanlage und 2. durch die Ernährung des Hundes. Beginnen wir bei der Ernährung: Bei einem Hund mit Veranlagung zu HD ist es möglich, durch eine kalorienmässig zurückhaltende und ausgewogene Fütterung das Ausmaß der Krankheit zu mildern. Es ist erwiesen, dass Hunde, die langsam wachsen, weniger schwer an HD erkranken als ihre schneller wachsenden und damit schwereren Wurfgeschwister. Besonders wichtig ist dabei, im Futter ein Ueberangebot von Kalzium (Futterkalk) zu vermeiden. Deshalb sollte bei Verwendung eines Vollwertfutters darauf geachtet werden, dass das Verhältnis von Kalzium zu Phosphor etwa 1:1 ist. Früher hat man ein Verhältnis von 1.5:1 als richtig erachtet. Dieses Vorgehen hilft zwar dem einzelnen Hund, der so trotz ungünstiger Erbanlagen eine größere Chance hat, akzeptable Hüftgelenke zu entwickeln und ein weitgehend normales und schmerzfreies Leben zu führen. Für zukünftige Zuchttiere ist diese Taktik aber völlig ungeeignet, da dadurch die genetische Belastung für HD nicht aufgedeckt werden kann. Kommen derart aufgezogene und erblich belastete Hunde zum Zuchteinsatz, wird die Veranlagung zu HD an die nächste Generation weitergegeben. Die Folge ist, dass unter den Nachkommen von Hunden mit guten Hüftgelenken dysplastische Nachkommen auftreten.

In Züchterkreisen wird angenommen, dass die jugendliche Aktivität der Welpen HD verursachen könne. Bis heute konnte diese Theorie nicht bewiesen werden. Ein gesundes Hüftgelenk wird durch die normale Bewegung und durch Spielen mit Artgenossen nicht geschädigt. Sicher ist es vernünftig, eine massive Überbeanspruchung des noch unreifen Skeletts des Junghundes zu vermeiden., da ein Knochen im Wachstum weniger belastbar ist, als das Skelett eines ausgewachsenen Tieres.

Die wichtigste Grundlage für HD liegt damit in der Erbanlage der Hunde. Welche Gene eine Rolle spielen, ist bis heute nicht geklärt. Erwiesen ist hingegen, dass sich HD häufig in Form einer übermässigen Lockerheit oder Instabilität des Hüftgelenkes zeigt, welche die Entwicklung von Arthrose begünstigt. So wie wir beim Tragen von zu grossen Schuhen bald Blasen oder einen tüchtigen Muskelkater einfangen, nimmt auch das Hüftgelenk Schaden, wenn der Oberschenkelkopf dauernd in der Gelenkspfanne umherrutscht. Technisch ausgedrückt, erfährt ein lockeres Hüftgelenk die selben Veränderungen wie ein lockeres Radlager: Es wird ausgeschlagen. Beim jungen Hund zeigen sich deshalb die stärksten Veränderungen an der Gelenkspfanne: sie weitet sich auf und flacht sich ab. Damit wird der Oberschenkelkopf nicht mehr korrekt geführt, es entwickelt sich eine Arthrose.

Welche Folgen hat HD?

Bei Bewegung werden die Hüftgelenke regelmässig zyklisch belastet. Ein stabiles Gelenk erträgt diese lebenslange Belastung problemlos, es bleibt gesund. Die regelmässige Belastung ist sogar notwendig für die Ernährung des Gelenkknorpels. Bei einem instabilen oder fehlgebildeten Hüftgelenk jedoch führt die wiederkehrende Fehlbelastung zu Zerrungen der Gelenkskapsel, der Bänder und zur Schädigung, des Gelenkknorpels und der gelenksbeteiligten Knochen. Es entwickeln sich knöcherne Zubildungen und Verformungen am Gelenk, welche auf dem Röntgenbild als bleibende Arthrose sichtbar sind. Die Folgen sind Schmerzen im Hüftgelenk. Die Hunde versuchen die Hintergliedmasse zu entlasten. Diese beiden Mechanismen führen zu Muskelschwund, was die Arthrose weiter fördert, weil dadurch die stützende Funktion der Muskulatur am Hüftgelenk wegfällt. Hunde mit mittel- bis hochgradiger HD sind deshalb meist weniger aktiv. Sie legen sich häufig hin, zeigen Mühe beim Aufstehen und lahmen in der Hinterhand, insbesondere nach längerem Liegen. Im Frühstadium der Krankheit kann die Lahmheit nach den ersten Schritten noch verschwinden. Später zeigen dysplasiegeplagte Hunde bei körperlichen Aktivitäten immer deutlicher Lahmheitsanzeichen. Nicht selten verändert sich unter chronischen Schmerzen auch der Charakter des Hundes. Aus dem fröhlichen Lebensgefährten kann ein missmutiger, mitunter sogar bissiger Zeitgenosse werden.

Wie wird die Diagnose HD gestellt?

Die Diagnose HD lässt sich anhand von Röntgenaufnahmen des Hüftgelenks stellen (Abbildungen 1 und 2). Sichtbare Veränderungen können an der Gelenkspfanne, am Oberschenkelkopf oder an beiden Knochen auftreten. Bei jungen Hunden ist gelegentlich nur ein auffällig lockeres Hüftgelenk zu beobachten, bei dem der Oberschenkelkopf nicht korrekt in der Gelenkspfanne liegt. Aufgrund der Veränderungen auf dem Röntgenbild werden fünf Schweregrade von HD unterschieden (Tabelle 1).

Wie häufig kommt HD bei den untersuchten Hunden vor?

Kürzlich wurden die HD-Resultate von allen 3749 Hunden, die in der Schweiz zwischen 1991 und 1994 im Rahmen der Körung auf HD untersucht worden waren, zusammengestellt. HD trat bei Rüden und Hündinnen gleich häufig auf, das Auftreten hängt also nicht vom Geschlecht des Tieres ab (Tabelle 1). Ein Viertel der untersuchten Hunde wurde als HD-frei, und ein Drittel als Übergangsform beurteilt (Abbildung 3). Damit gehören beinahe 60% der Hunde zu den beiden Graden, die mit gutem Gewissen zur Zucht verwendet werden können. Mehr als ein Viertel der Hunde wurde als leicht dysplastisch (HD-Grad C) bewertet, sie sollten nicht zur Zucht verwendet werden. Rund jeder 7. Hund fiel sogar in die HD-Grade D und E mit ausgeprägten Gelenksveränderungen. Derartige Tiere sind von der Zucht ausgeschlossen.

Kommt HD bei allen Rassen gleich häufig vor?

Trotz Bekämpfung der HD seit rund 30 Jahren sind somit immer noch rund 40% der mittelgrossen und grossen Rassehunde dysplastisch, ihr Anteil ist aber bei den verschiedenen Rassen sehr unterschiedlich (Tabelle 2). Bei gewissen Rassen erreicht der Anteil an mittelgradiger und hochgradiger HD mehr als 20%. In der besagten Studie wies der Siberian Husky die besten Hüftgelenke auf, gefolgt von den Bearded und Rough Collies und den Belgischen Schäferhunden. Dysplasiefrei waren rund zwei Drittel aller Hovawarte, Flat Coated Retriever, Leonberger und Rottweiler, über die Hälfte der Labrador Retriever und Berner Sennenhunde, die Hälfte der Golden Retriever, Neufundländer und der Deutschen Schäferhunde, aber weniger als die Hälfte der untersuchten Boxer. Bei Bernhardinern, sowie English und Gordon Settern lag die HD-Rate bei erschreckend hohen 60-70% (Abbildung 4).

Wieso bestehen derartige Rassenunterschiede in der HD-Häufigkeit?

Bei gewissen Rassen kam die Krankheit schon zu Beginn der HD-Bekämpfung selten vor. Dies ist vermutlich der wichtigste Grund für ihre gute Hüftgelenksqualität. Besonders Schlittenhunde oder Jagdhunde, die seit jeher auf eine lebenslange Leistungsfähigkeit gezüchtet worden sind, zeigen kaum HD; Hunde, die nach anstrengender Arbeit lahmten, wurden gar nicht erst zur Zucht verwendet. Beim Hovawart waren schon vor der Einführung der HD-Kontrolle viele Hunde dysplasiefrei, deshalb konnte seit jeher eine strenge Selektion durchgeführt werden.

Die wichtigsten Gründe für den hohen HD-Anteil in verschiedenen Rassen sind die Verwendung dysplastischer Elterntiere (HD Grad C) zur Zucht und das weitgehende Fehlen einer Nachzuchtkontrolle. Beim Bernhardiner rächt es sich, dass die Zuchttiere jahrelang nicht auf HD untersucht und Hunde trotz ausgeprägter HD zur Zucht verwendet worden sind. Bei vielen Rassen wird bei der Auswahl von Zuchthunden zudem zu stark dem Exterieur und dem Kampftrieb Bedeutung zugemessen. Gesundheitliche Aspekte werden kaum berücksichtigt. Überdies bestehen Hinweise dafür, dass z.B. beim Deutschen Schäferhund die abfallende Rückenlinie und die starke Hinterhandwinkelung die HD geradezu fördert.

Der Anteil dysplastischer Hunde ist mit großer Wahrscheinlichkeit noch höher als es die Zahlen in Tabelle 2 widerspiegeln, da Röntgenbilder von schwer dysplastischen Hunden kaum je zur offiziellen Beurteilungsstelle eingesandt werden, da die Züchter um ihren guten Ruf als HD-freie Zuchtstätte fürchten. Auch Bilder von dysplastischen Tieren, die vor dem Erreichen des ersten Altersjahres wegen Bewegungsstörungen geröntgt werden, gelangen kaum je zur Auswertung. Dieses Vorgehen behindert den Fortschritt enorm, da es dadurch unmöglich wird, die Zuchtvorschriften so anzupassen, dass die Zahl dysplastischer Hunde vermindert werden kann. Zudem werden die Berechnungen zur Erblichkeit (Heritabilität) der HD verfälscht. Die Züchter und Hundebesitzer betrügen sich so selber um ihre Bemühungen, die HD-Häufigkeit nachhaltig zu senken.

Wieso kommt die HD immer noch so häufig vor?

Eine derart hohe Zahl an ausgeprägt dysplastischen Hunden ist nicht zu verantworten. Sie widerspricht auch dem Gedanken des Tierschutzes, nur Tiere zu züchten, die frei sind von Krankheiten, welche die Lebensqualität einschränken. Dazu gehört auch die schmerzhafte HD. Jeder Käufer eines rassereinen Hundes hat grundsätzlich Anrecht auf einen geistig und körperlich gesunden und damit dysplasiefreien Hund. Solange jedoch unter den heute geltenden Zuchtvorschriften über 80% aller untersuchten Hunde als zuchttauglich erklärt werden, lässt sich die HD-Häufigkeit bei den Nachkommen nicht senken. Erschwerend kommt dazu, dass der Zuchtwert eines Tieres für das Merkmal HD nicht nur allein von der Qualität seiner eigenen Hüftgelenke abhängt, sondern auch von derjenigen seiner nahen Verwandten wie der Eltern und der Geschwister. Nur wenn ihre HD-Ergebnisse mitberücksichtigt werden, lässt die Hüftgelenksqualität der Nachkommen schätzungsweise voraussagen.

Wie kann HD bekämpft werden?

Jeder Züchter und Hundebesitzer kann durch eine sorgfältige Fütterung des jungen Hundes direkten Einfluss auf die Entwicklung der Hüftgelenke nehmen. Es ist nachgewiesen, dass eine zu schnelle Gewichtszunahme in den ersten 10 Lebensmonaten die HD-Häufigkeit fördert. Zu große  Mengen von Energie, Protein und Mineralstoffen, insbesondere von Kalzium im Futter begünstigen die Ausbildung der HD nachweislich. Wird in diesem Lebensabschnitt der HD-gefährdete Hund noch übermäßig beansprucht, kann sich die HD noch verschlimmern. Hingegen scheint weder die endgültige Körpergröße noch das endgültige Körpergewicht des Hundes einen wesentlichen Einfluss auf die Ausprägung der HD zu haben. Im Laufe des Lebens des Hundes kann die Arthrose infolge starken Übergewichts noch schwerer werden. Eine frühere Vermutung aber, dass Vitamin C eine HD verhindern kann, hat sich als Irrtum erwiesen.

Die langfristig wirksamste Maßnahme zur Verringerung der HD ist die Einführung und Durchsetzung von Paarungsbeschränkungen. Der Anteil gesunder Nachkommen steigt an, wenn nicht nur der HD-Grad des Tieres selber (die sogenannte Eigenleistung), sondern auch die HD-Resultate seiner Geschwister und insbesondere seiner bereits geborenen Nachkommen mit berücksichtigt werden. Mit Hilfe einer derartigen Zuchtwertschätzung könnte der Züchter für sein Zuchttier einen geeigneten Partner auswählen, ohne seinen Hund wegen HD-Belastung von vorne herein aus der Zucht nehmen zu müssen. Dieses Konzept wird als strategische Paarung bezeichnet und hat zum Ziel, nur noch Welpen zu züchten, die ein unterdurchschnittliches Risiko haben, an HD zu erkranken. Die Zuchtzulassung wird damit nicht mehr vom HD-Resultat des Einzeltieres abhängig gemacht, sondern vom HD-Risiko bei den Nachkommen einer Paarung. Diese Methode der Zuchtselektion hat sich in der Nutztierzucht und neuerdings auch beim Hund als äußerst erfolgreich erwiesen. In Deutschland haben bereits über 50 Rassehundeklubs diesen Weg beschritten. Der Erfolg der strategischen Paarung hängt aber entscheidend von der Erarbeitung einer neuen Zuchtstrategie und vom konsequenten Einhalten der daraus entwickelten Paarungsbeschränkungen ab.

Der stärkste Ansporn zur Verbesserung der HD-Situation bei den Rassehunden wird ohne Zweifel der kritische und fordernde Käufer geben. Wenn er nicht mehr akzeptiert, dass in gewissen weitverbreiteten Rassen jeder fünfte Hund an HD leidet, sondern eine Kaufpreisminderung und die Übernahme der Behandlungskosten verlangt oder solche Tiere unter nachdrücklicher Rückforderung des vollen Kaufpreises gar an den Züchter zurückgibt, wird sich unter den Züchtern schnell die Erkenntnis verbreiten, dass es billiger und für den guten Ruf vorteilhafter ist, eine wirksame Zuchtplanung einzuführen, als weiter nach eigenem Gutdünken Hunde zu paaren und die Augen vor den schlechten Resultaten zu verschließen.

Auch der Gesetzgeber kann durch den Erlass und das konsequente Durchsetzen eines wirksamen Tierschutzgesetzes folgenreiche Änderungen des Zuchtverhaltens auslösen. Im weiteren sind die Rasseklubs auch dazu aufgerufen, die unsinnige Ehrung eines einzelnen Champion of Champions abzuschaffen und dafür diejenigen Züchter zu belohnen, bei welchen alle gezüchteten Hunde gesund und langlebig sind und einem vernünftigen Rassestandard entsprechen. Nicht der einzelne Spitzenhund garantiert eine gesunde Rasse, sondern eine breite Basis von gut entwickelten Tieren.

Korrespondenzadresse:

PD Dr. Mark Flückiger, HD-Kommission Zürich,

Tierspital Zürich, Abteilung für Bildgebende Diagnostik,

Winterthurerstrasse 260, CH-8057 Zürich.

 

Die Hüftgelenksdysplasie (HD)

 

Die Hüftgelenksdysplasie (HD) ist eine Erkrankung, die sich über mehrere Gene rezessiv (verdeckt) vererbt.

Bei dieser Erkrankung passen der Hüftgelenkskopf und die Hüftgelenkspfanne nicht zueinander, so daß es zu Reibungen zwischen beiden bei der Bewegung kommt.

Je nachdem, wie viele HD-auslösende Gene bei einer Verpaarung zusammen kommen, ist der Schweregrad einer HD unterschiedlich. Daher kann eine HD auch verschieden schwere Syptome hervorrufen, von Beschwerdefrei bis hin zu allergrößten Schmerzen bei der Bewegung.

Festgestellt wird eine HD durch eine Röntgenaufnahme, wobei der Hund eine leichte Narkose bekommt. Die Auswertung erfolgt Anhand bestimmter, festgelegter Maßzahlen und die Einreihung erfolgt nach der Anzahl der Abweichungen vom Normalwert.


HD-F

HD-A

Frei, kein Hinweis auf Hüftgelenksdysplasie

HD-V

HD-B

Verdacht, Übergangsform

HD-L

HD-C

Leicht

HD-M

HD-D

Mittel

HD-S

HD-E

Schwer






Röntgenaufnahme eines HD-F Hundes (frei von HD)

Bei dieser Aufnahme eines HD-S erkrankten Hundes (schwere HD) sind die flachen Gelenkköpfe und Gelenkpfannen auch für einen Laien gut erkennbar

 

Da sich die HD über mehrere Gene vererbt und dazu noch rezessiv (verdeckt), kann es auch bei der Verpaarung zweier HD-freier Hunde zu Nachkommen mit HD kommen.

Daher werden in der HZD auch die Geschwister der Zuchthunde mit bei der Zuchtauswahl bezüglich HD-Freiheit berücksichtigt.

Je weniger HD in einer Hundefamilie auftritt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß deren Nachkommen HD-Frei sind

 

Das Verfahren der Zuchtwertschätzung am Beispiel der Hüftgelenksdysplasie beim
Deutschen Schäferhund
 

Teil 1:

Hüftgelenksdysplasie, ein ererbtes Risiko

Dr. Reiner Beuing

Institut für Tierzucht und Haustiergenetik
der Justus Liebig Universität Giessen


Die Hüftgelenksdysplasie beim Hund ist seit langer Zeit eine ausgiebig erforschte Skelettanomalie. In umfangreichen Analysen wurde schon früh erkannt, daß es sich um eine erbliche, das heißt ererbte und damit auch vererbbare Besonderheit handelt.

Unter "erblich" stellen sich viele vor, daß die Erbanlagen, die Gene, ausschließlich und unabwendbar die Krankheit vorbestimmen. Das wäre aber eine viel zu enge Auslegung eines sehr komplexen biologischen Geschehens. Hüftgelenke entwickeln sich. Während des Wachstums bildet sich die Gelenkpfanne um den Gelenkkopf herum und der Oberschenkelkopf wird durch die Einbettung und durch die Druck und Zugkräfte im Gelenk in die Pfanne geformt. Die auftretenden Belastungskräfte am Gelenk sorgen dafür, daß unter Kontrolle der Gene, die Knochenauf- und -umbauprozesse zu einem funktionsfähigen Gelenk führen.

Es sind also die Reize während des Wachstums, die eine Reaktion des Körpers bewirken. Und hier genau liegen die Unterschiede von Tier zu Tier. Die Reaktion des Körpers kann, je nachdem welche Genvarianten ein Tier besitzt, sehr unterschiedlich sein. Manche Tiere reagieren auf zu frühe Belastung, auf zu energiereiche Fütterung, auf beschleunigtes Wachstum, auf falsche Mineralstoffversorgung usw. mit deformierten Gelenken, andere reagieren trotz dieser Handicaps mit unproblematischen Gelenken.

Eine schlechte Umwelt kann natürlich HD bewirken und gute Umwelt kann gesunde Hüftgelenke hervorrufen. Daraus aber abzuleiten, daß Genetik keine Rolle spielt, ist falsch.

Man muß vielmehr HD als ein Merkmal ansehen, bei dem ein Risiko durch die Gene reduziert bzw. verstärkt wird. Züchten gegen HD bedeutet somit, daß man Hunde erhält, die auch unter ungünstigen Rahmenbedingungen der Aufzucht nicht mit schlecht entwickelten Hüften reagieren sondern trotzdem schmerzfreie, funktionale Gelenke haben.

Erblichkeit ist somit kein Begriff, der "Alles oder Nichts" bedeutet. Erblichkeit orientiert sich an den sichtbaren Unterschieden zwischen den Tieren. Wieviel der Unterschiede sind dadurch verursacht, daß die Tiere unterschiedlich gefüttert, gehalten oder bei dem Röntgen gelagert wurden (Umwelt) und wieviel der Unterschiedlichkeit beruht darauf, daß die Tiere von ihrer Genetik her empfindlich oder robust auf die Umweltbedingungen reagieren.

Beim Schäferhund in Deutschland zeigen die letzten statistischen Analysen, daß die erblichen Gründe unter 20% ausmachen. Man spricht daher von einer Erblichkeit (Heritabilität) von ca. 0,2 bzw. 20%. Die Unterschiede werden von einem speziellen, diese Rasse betreuenden Gutachter dokumentiert. Es ist somit typisch für den Gutachter, was für Unterschiede er herausstellt und wie stark er differenziert. Insofern ist die Heritabilität spezifisch für die Bewertung in deutschland, in anderen Rassen/Ländern kann sie anders sein.

Im Einzelfall ist nie zu entscheiden, ob ein Tier HD-frei ist weil es gute Bedingungen hatte oder nur deswegen, weil sein Körper schlechte Bedingungen verkraftet. Es bedarf einer Untersuchung und statistischen Analyse der Verwandten, die teilweise die gleichen Gene besitzen, aber in anderen Umwelten aufwachsen. Das Verfahren nennt man Zuchtwertschätzung und ist jetzt auch beim Deutschen Schäferhund eingeführt. Die Zuchtwertzahl beschreibt das HD-Risiko, also ob ein Tier im Mittel aller Umweltsituationen günstig oder ungünstig reagiert.

Wie das Risiko für Hüftgelenksdysplasie von den Eltern mitbestimmt wird, das heißt durch die Gene beeinflußt wird, soll die Abbildung 1 zeigen.

Die Höhe der Säulen stellt den durchschnittlichen HD-Grad der Nachkommen dar und jede Säule steht für eine Art von Anpaarung.

Der erste Block mit drei Säulen kennzeichnet die Nachzucht von Rüden, deren Hüften mit HD-normal bewertet wurden, jeweils angepaart an Hündinnen die normal, fast normal und noch zugelassen sind. Deutlich zeigt sich, daß die Nachzucht mehr HD aufweist, wenn die angepaarten Hündinnen einen höheren HD-Grad haben. Im zweiten Block ist der Vater fast normal und die Hündinnen sind wiederum normal, fast normal oder noch zugelassen. Hier zeigt sich das gleiche Bild, jedoch auf einem höheren Niveau durch den höheren HD-Grad des Vaters. Noch höher ist das HD-Niveau der Nachkommen, wenn der Vater nur noch zugelassen ist.

Das Bild beweist drei wichtige Erkenntnisse:
 

1. Je höher der HD-Grad des Vaters ist, um so mehr HD-Fälle gibt es in der Nachzucht.

2. Je höher der HD-Grad der Mutter ist, bei gleichem HD-Grad des Vaters, um so höher ist die Nachzucht belastet. Vater und Mutter bestimmen somit beide gleichwertig das HD-Risiko der Nachkommen.

3. Das väterliche und mütterliche HD-Risiko addiert sich. Vater normal (=1) gepaart mit Mutter noch zugelassen (=3) ergibt das gleiche Risiko wie Vater =2 mit Mutter = 2.

4. Die fast normal eingestuften Tiere sind im Vererbungsrisiko ungünstiger einzustufen als Tiere mit HD-normal obwohl beide durchaus als gesund anzusehen sind.

5. Die fast normal eingestuften Tiere liegen in der Vererbung mitten zwischen den normalen und noch zugelassenen. Eine Zahlenumsetzung 1, 2, 3 usw. für die HD-Grade ist somit gerechtfertigt.

Wenngleich die Einstufung der HD über ein Gutachten oft kritisiert wird und eine Aussage für die Zucht wegen "mangelnder Erblichkeit" angezweifelt wird, so wird doch offensichtlich, daß in den Gutachten Aussagekraft für das Risiko einer HD-Vererbung steckt. Die Bündelung des Wissens über die familiäre Häufung, also über die genetisch bedingte Anlage für gute Hüftentwicklung, wie sie in der Zuchtwertschätzung vorgenommen wird, deckt die ererbten Risiken jedoch deutlicher auf.

Die Verantwortung der Wissenschaft und Zuchtleitung wird in der Zukunft darin liegen, nach Wegen zu suchen, um für die Zucht die HD eventuell informativer zu charakterisieren. Wichtig wäre zunächst eine Differenzierung der grossen Gruppe der freien Tiere in eine bessere und schlechtere Hälfte. International werden die HD-Grade auch mit A,B,C D und E bezeichnet, wobei A für frei (normal) steht, B für Grenzfall (fast normal) usw. bis E=schwere HD. Viele deutsche Gutachter, aber auch Auswertungsstellen im Ausland, unterteilen die Klassen nochmal in A1,A2,B1,B2 usw.

Untersuchungen, auch an der repräsentativen Studie des SV zu HD und ED, zeigen, daß die differenziertere Begutachtung höhere Heritabilität hat, daher informativer für die Zucht ist. Das würde sich auch positiv für die Zuchtwertschätzung auswirken.