Torsio ventriculi (Magendrehung)

 

 

 

(Das MDV-Syndrom beim Hund)

© Dr. Marie-Louise Nagel (Chirurgische Veterinärklinik der Universität Giessen)

Einleitung

Das MDV-Syndrom des Hundes ist eine perakute , lebensbedrohliche Erkrankung mit hoher Mortalitätsrate . Vorwiegend sind große, tiefbrüstige Hunderassen, wie DSH, Dogge und Bernhardiner im fortschrittenen Alter betroffen.

Pathogenese

Ursächlich werden eine Vielzahl von Faktoren für das MDV-Syndrom verantwortlich gemacht, wobei die genaue. Aetiologie unklar ist

A. Pathogenese der Magendilatation

.In den meisten Fällen besteht ein enger Zusammenhang mit der Futteraufnahme wie z.B. eine schnelle Aufnahme großer Futter- und Wassermengen. Durch die zusätzliche Wasseraufnahme quillt das Futter, wodurch sich das Volumen vergrößert. Es kommt so zur Magenüberladung.

Eine lange Verweildauer des Futters im Magen kann ebenfalls einen Risikofaktor für die Erkrankung darstellen. Eine große Futtermenge z.B. verweilt länger im Magen als wenn sie fraktioniert gefüttert würde. Schwerverdauliches Futter hat ebenfalls eine längere Verweildauer im Magen.

Auch Dysfunktion des Pylorussphinkters oder der Kardia können eine Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen.

Die Gasbildung im Magen kann u.a. durch bakterielle Fermentation von kohlenhydratreichem Futter erklärt werden. Es kommt zur Freisetzung von CO2 und damit zur Anreicherung im Magen. Gleiches gilt für das gehäufte Vorkommen von gasbildenen Clostridien bei gleichzeitiger Hypoxie. Weiterhin kommt es auch durch die Salzsäure des Magens zu einer CO2-Abspaltung aus dem Bikarbonat von Speichel und Pankreassaft.

Andererseits kann auch die Aerophagie , wie sie z.B. bei Herzinsuffizienz, Gastropathie oder Schluckstörungen vorkommen kann, ein weiterer Grund für eine vermehrte Gasansammlung im Magen sein.

B. Pathogenese des Magenvolvulus

In der Literatur wird allgemein der Magenvolvulus als Folge einer Magendilatation angesehen. Dieser Hypothese im Widerspruch steht die Tatsache, daß ein Volvulus ohne vorherige Dilatation auftritt. Experiemente an unveränderten Hundekadavern haben gezeigt, daß eine Magendilatation nur dann zum Volvulus führen kann, wenn Milz u. Pylorus derart verlagert sind, daß der Pylorus „ventral im Abdomen" hängen müßte (BLACKBURN,1944), VAN SLUIJS,1987 begründet seine Hypothese, daß der Volvulus der Magendilatation vorausgeht, damit, daß ein dilatierter Magen in der Bauchhöhle zu wenig Platz für eine Drehung hätte, ein leerer Magen sich jedoch drehen kann! Ein partiell gedrehter Magen kann aufgasen, weil der Hund aufgrund der mit der Drehung verbundenen Schmerzen vermehrt durch den Mund atmet und dabei Luft abschluckt. Luft u. Flüssigkeit können auch in einem gedrehten Magen immer noch eindringen.

A. Pathologische Anatomie

Zwischen einer Magendilatation allein und einer Dilatation verbunden mit einem Volvulus gibt es deutliche morphologische Unterschiede:

Bei einem Hund in Rückenlage mit geöffnetem Abdomen und Blickrichtung des Operateurs von kaudal nach kranial ist der Magen bei einer Dilatation mit Volvulus im Uhrzeigersinn um die distale Kardia gedreht. Die relative Lage des Pylorus und der Kardia werden für den Grad der Drehung herangezogen. Liegt der Pylorus ventral der Kardia, besteht eine Drehung von 180 Grad = Torsion, liegt er aber auf gleicher Höhe oder dorsal von der Kardia, ist der Magen um 180 Grad oder mehr gedreht = Volvulus. Bei einer einfachen Dilatation wird der Magen nicht vom Omentum majus überzogen, und in seltenen Fällen ist er um 90 Grad entgegen dem Uhrzeigersinn um die distale Kardia gedreht.

B. Pathophysiologie

Der aufgegaste od. stark überfüllte Magen drückt auf die V.cava un. V.portae, wodurch es zu einer Stauung u. Versackung des Blutes im Splanchnikusgebiert u. in den Hinterbeinen kommt. Das Resultat ist ein hypovolämischer Schock. Durch die anhaltende Gasbildung steigt der intraluminale Druck im Magen, wodurch es zur Stauung im venösen Abfluß der Magenwand (intramurale venöse Stase) kommt. Die daraus resultierende Hypoxie kann eine Magenwandnekrose zur Folge haben. Weiterhin drückt der pralle Magen auf das Zwerchfell, wordurch sich das Atemzugvolumen verkleinert. Zusammen mit der durch den Schock bedingten verminderten Lungenperfusion resultiert eine verminderte Sauerstoffbeladung des Blutes und eine Hypoxie des Gewebes. Die Ursache für die häufig auftretenen Herzarrhythmien ist nicht vollständig bekannt. Durch den Schock kommt es zur verminderten Myokarddurchblutung bei erhöhtem Sauerstoffbedarf des Herzmuskels und damit zur Hypoxie. Zusammen mit einer Störung im Säure-Basenhaushalt, einem erhöhten Sympathikotonus und Elektrolytimbalanzen können Herzarrthythmien in Form von Extrasystolen entstehen. Eine metabolische Azidose durch Akkumulation von Milchsäure kann im gestauten und minderdurchbluteten kaudalen Gewebe vorliegen.

Klinisches Erscheinungsbild

Die Erkrankung wird in erster Linie anamnestisch, adspektorisch u. palpatorisch und nur in Zweifelsfällen röntgenologisch diagnostiziert. Die ersten Symptome sind Ruhelosigkeit, Würgen, starkes Speicheln, erfolgloses Erbrechen gefolgt von rasch zunehmender Auftreibung des Abdomens mit begleitender Dyspnoe und deutlichen Anzeichen des Schocks. Das Abdomen zeigt bei derRö.-Aufnahmen in latero-lat.Strahlengang angefertigt werden. Hierdurch ist i.d. Regel eine Differenzierung zwischen Dilatation und Torsion möglich. Jedoch ändert sich dadurch keineswegs die Vorgehensweise.

Notfallmaßnahmen

Die wichtigste Maßnahme ist der Versuch der sofortigen Dekompression des Magens zur Verbesserung der Hämodynamik. Möglichst gleichzeitig sollte - bei schlechtem Allgemeinbefinden- mit der Schocktherapie begonnen werden.

Die Dekompression des Magens wird mit einer Magensonde versucht, wenn möglich ohne Sedation. Kann die flexible, möglichst durchsichtige Sonde nicht in den Magen geschoben werden, dann muß in lebensbedrohlichen Situationen eine perkutane Gastrozentese mit einer Kanüle durchgeführt werden und zwar am höchsten Punkt der abdominalen Auftreibung kaudal des rechten Rippenbogens. Danach empfiehlt es sich erneut die Magensonde einzuführen. Scheitert auch dieser Versuch, muß sofort operiert werden.

Das wichtigste bei der Behandlung des Schocks ist der Volumenersatz mit einer isotonischen Vollelektrolytlösung in einer Menge von ca. 90 ml/kg/h. Gleichzeitig sollten Glukokortikoide zur Verminderung der Sensibilität gegenüber Endotoxinen und zu einer Erhöhung der Ischämietoleranz der Zellen gegeben werden. Liegt nachweislich eine metabolische Azidose vor, wird Na-Bikarbonat nach der bekannten Formel substituiert.

Operative Versorgung MDV-Syndrom- erkrankter Hunde

Besteht nur der geringste Verdacht einer Magendilatation mit oder ohne Torsion, abgesichert durch soeben erwähnte Kriterien wie typische Symptome des Patienten als auch klinische und - wenn es die Zeit erlaubt- röntgenologische Untersuchungen, dann sollte der Patient nach Stabilisation baldmöglichst operiert werden.

Ja, auch die einfache Magendilatation ist - aufgrund der Rezidivrate- in vielen Fällen besser operativ als konservativ zu behandeln. (Ausnahmen: hohes Alter oder bedrohliche Kreislaufprobleme!).

Die operative Therapie kann dann allerdings - nach Dekompression des Magens und Kreislaufstabilisation- erst nach 1-2 Tagen erfolgen.

Operation:

Für die Operation muß der Hund in Narkose gelegt werden. In unserer Klinik werden die Patienten mit einer Neuroleptanalgesie verbunden mit einer Inhalationsnarkose anaesthesiert.

Nach Vorbereitung des Tieres zur Laparotomie wird die Bauchhöhle in der Linea alba eröffnet. Danach kann man sofort erkennen, ob es sich hierbei um eine Drehung des Magens im oder entgegen dem Uhrzeigersinn handelt:

Sieht man einen aufgeblähten Magen, der vom Omentum majus überzogen ist, dann liegt eine Drehung des Magens im Uhrzeigersinn vor. Das bedeutet: Wenn der Betrachter auf der rechten Seite des liegenden Patienten. steht und von kaudal nach kranial in die geöffnete Bauchhöhle hineinsieht, daß der Pylorus - je nach Grad der Drehung - nicht mehr in der rechten Bauchhälfte sondern in der Mitte und ventral resp. in der linken Bauchhälfte bis maximal neben dem distalen, spiralig gedrehten Oesophagus (Kardia )liegt.

Diese Drehung des Magens um seine Längs- und Querachse findet man in ca. 99% aller Fälle.

Sehr selten besteht eine Drehung des Magens entgegen dem Uhrzeigersinn. Dabei liegt der Pylorus fast physiologisch, jedoch etwas mehr nach dorsal abgekippt neben dem wenig gedrehten, distalen- Oesophagus. Das Duodenum ist häufig abgeknickt und durch den dilatierten Magen komprimiert. Der Magen ist nicht vom Omentum majus überzogen.

Operationsverlauf:

Läßt sich der Magen aufgrund seiner massiven Auftreibung noch nicht manuell reponieren, ist eine Gastrozentese erforderlich.

Und danach ist dann in den meisten Fällen der Magen zu reponieren.

Reposition des Magens:

Der Operateur steht an der rechten Seite des Patienten, greift mit einer Hand den Pylorus, zieht ihn zu sich heran und schiebt gleichzeitig mit der anderen Hand den Fundus, der durch die Verlagerung ventral liegt, nach dorsal und links in die Bauchhöhle zurück.

Die Milz, die mit dem Magen sehr eng über das Lig. gastrolienale verbunden ist, hat sich in den meisten Fällen bei einer Torsio v. im Uhrzeigersinn ebenfalls verlagert.

Je nach Drehung kann sie sich aus der ursprünglichen = linken dorso-lateralen Position in den ventralen oder sogar rechten Bauchbereich verlagern. Sie ist häufig gestaut und damit vergrößert, manchmal hufeisenförmig abgeknickt, selten in ihrer Kapsel eingerissen und manchmal auch gedreht.

Nur wenn starke Schäden an der Milz oder eine länger bestehende Torsio lienalis vorliegen, bei der die A.+V. lienalis thrombosiert sind, sollte eine Splenektomie erfolgen.

Ansonsten wird bei der Reposition des Magens die Milz ebenso in ihre Ursprungslage zurückgedreht.

Eine Splenektomie - so wie man früher glaubte- verhindert nicht ein Rezidiv!

Beurteilung der Magenwand:

Nach der Reposition des Magens - evt. auch schon zuvor- muß die Magenwand sehr kritisch beurteilt werden auf ihre "Lebensfähigkeit"-" (d.h. Farbe u. Durchgängigkeit der kurzen Magengefäße). Bestehen an den prädisponierten Stellen wie Fundus und Korpus sowie entlang der großen Kurvatur Infarkte oder Nekrosen, muß eine partielle Gastrektomie erfolgen. Ist die Magenwand an irgendeiner Stelle (meistens im Fundusbereich ) perforiert und Mageninhalt in die Bauchhöhle geflossen, so ist sehr genau abzuwägen, ob eine Fortsetzung der Operation sinnvoll ist oder ob der Patient euthanasiert werden soll (Alter + Zustand des Pat., Veränderungen in der Bauchhöhle etc.). Die kritische Betrachtung der Magenwand sollte erneut nach ca. 10 Min. erfolgen, da sich die Gefäßver-sorgung und auch die Serosa häufig revitalisieren.

Magenspülung:

Nach der Reposition des Magens- wenn nicht schon vorher erfolgreich- wird erneut die MSS durch eine Hilfsperson in den Magen eingeführt und Gas, Flüssigkeit und evt. auch Futter abgelassen. Sollten sich große, feste Futterstücke im Magen befinden ( z.B. Pansen oder Knochen), so ist sorgfältig zu überlegen, ob diese zu belassen oder evt. zu entfernen sind (Extraktion mit langer Fremdkörperzange oder über eine Gastrotomie).

Entscheidet man sich für eine Gastrotomie, dann empfiehlt es sich, den Magen zwischen gr. + kl. Kurvatur zu eröffnen.

Im Anschluß wird der Magen mehrmals mit warmer phys. NaCl gespült.

Eine Rezidivprophylaxe sollte - mit ganz wenigen Ausnahmen- bei jedem Patienten durchgeführt werden!

Zur Rezidivprophylaxe sind im Laufe der letzten 17 Jahre folgende Methoden erfolgreich zur Anwendung gekommen:

1. Tubus-Gastrotomie mit Foley-Katheter,

2. Circumcostale Gastropexie;

3. Inzisions-Gastropexie;

4. Belt-Loop-Gastropexie;

5. Muskel-"Flap"-Gastropexie;

6. Linea-alba-Gastropexie;

Nur auf 2 Fixationsmethoden, die wir an unserer Klinik oder auch in Hannover durchführen, möchte ich eingehen:

Die Inzisions-Gastropexie und Linea alba-Gastropexie;

Allen Gastropexie-Methoden gemeinsam ist, daß sie eine Verlagerung von Pylorus u. Duodenum auf die linke Seite der Bauchhöhle verhindern.

Die Inzisions-Gastropexie: In der Pars pylorica wird durch die Tunicae serosa et muscularis eine ca.3cm lange Inzision gemacht; eine gleich lange Inzision erfolgt kaudal der letzten Rippe durch das Peritoneum, M.transversus + die Faszie; die Wundränder beider Inzisionen fügt man über eine fortlaufende Naht mit langsam-resorbierbarem Faden zusammen.

Linea-alba-Gastropexie : Zur Gastropexie wird die Pars pylorica des Magens in den kranialen Abschnitt der Laparotomiewunde gehalten und dort mit in den Verschluß einbezogen.

Postoperative Therapie:

Der an MDV-erkrankte und operierte Hund ist ein sogen. Intensivpatient, der intra - und post op. sorgfältig überwacht werden muß.

Intra- und postoperative Überwachung:

1. EKG: wegen ventrikulärer Arrhythmien;

2. Elektrolyte: Gefahr von Hypokaliämie

3. Blut-Parameter: Hämatokrit, Leukozyten

Ventrikuläre Arrhythmien können noch nach 72 Std. p.op. auftreten und sollten mit Infusionen und -wenn erforderlich- auch mit Antiarrhythmika wie z.B. Lidocain oder Verapamil behandelt werden.

Mehrere Komplikationen p.op.können auftreten, z.B.:

Magenwandnekrosen, -rupturen, Peritonitis, ventrikuläre Dysrhythmien, elektrolyt. Imbalanzen sowie erneute Aufgasung und evt.auch Drehung des Magens.

Generell gilt, daß der Patient mindestens 48 h p.op. parenteral mit einer Vollelektrolyt-Lsg. ernährt wird ( d.h. Wasser- u. Futtergabe entfallen vollständig), Kortison ( 8-10mg/kg KGw.) über 2 Tage und Antibiotika bis zu 5 Tagen p.op.

Am 3.+ 4. Tag p.op. erhält der Patient 5 kleine Portionen Diät-Futter (z.B. Biosorbin oder Instant Diet).

Am 5.Tag p.op. erfolgt erstmalig die Aufnahme von leicht verdaulichem Futter in kleinen Portionen 3 x täglich.

Wenige Hunde erbrechen p.op. über einige Tage. Ihnen applizieren wir Metoclopramid entweder über die Infusionen oder subkutan:

Metoclopramid wirkt dämpfend auf das Brechzentrum und stimuliert die Motilität des proximalen Gastrointestinal-Traktes.

Prognose:

Sie ist abhängig von der Dauer der bestehenden Erkrankung.